Leben mit Zöliakie

Petra, 4 Dec 2020.

Als ich auf die Welt kam, war ich ein ganz normales gesundes Kind. Ich entwickelte mich gut und konnte schon sehr früh lachen, sitzen und mit meiner Umgebung kommunizieren. Natürlich nur mit „Gaga, baba, dada, …“. Doch als meine Mutter mich mit drei Monaten langsam abstillte, begann das Martyrium. Ich kann mich nicht wirklich an diese Zeit erinnern und muss deshalb natürlich auf die Erzählungen meiner Familie zurückgreifen. Der Umstieg erfolgte nicht so problemlos wie erhofft. Ich wollte das Fläschchen nicht trinken. Damals war gerade Fläschchennahrung mit Vollkorn modern und meine Eltern leisteten sich die teuersten Angebote, damit ihr jüngstes Kind endlich wieder richtig essen sollte. Jedoch wurden sie enttäuscht. Ich lehnte das Angebot ab und wenn meine Mutter mit der Flasche kam streckte ich die Ärmchen abwehrend hoch. Die Unterernährung machte sich bald bemerkbar und ich verlor Gewicht, anstatt zuzulegen. Das fröhliche Kind wurde missmutig und kraftlos. Bald schaffte ich es nicht mehr zu sitzen, ohne gestützt zu werden. Meine Eltern besuchten verschiedene Ärzte, doch diese wiegelten ab: „Das Kind isst halt nicht gerne. Versuchen sie es mit anderen Produkten.“ Ein Arzt meinte sogar, dass sie sich keine Sorgen um mich machen sollten, sondern besser um meine um 5 Jahre ältere Schwester, die gerade einen Wachstumsschub hatte und dementsprechend schlank war. Meine Eltern waren verzweifelt. Ich hatte alle Unterernährungszeichen, wie sie sie aus den Spendenaufrufen für Afrika aus dem Fernseher kannten, aber kein Arzt schien dies ernst zu nehmen. Mein Bäuchlein war aufgebläht und die Beinchen hatten an den Schenkeln Einbuchtungen anstatt Speckröllchen.  Sie spürten, dass es mir nicht gut ging und mein Verhalten zeigte dies auch ganz klar. Ihre Jüngste hatte Schmerzen und aß so gut wie nichts mehr.

Meine Mutter schob gerade den Kinderwagen über die Zufahrtsstraße und traf dabei ihre Nachbarin. Sie klagte ihr ihr Leid und erzählte auch, dass sich meine Eltern entschlossen hatten einen Arzt in der Schweiz zu suchen, um mir zu helfen. Die Nachbarin empfahl ihr einen Kinderarzt in der Nähe, den meine Eltern noch nicht aufgesucht hatten. Den Strohhalm ergreifend begaben sich meine Eltern mit mir zu diesem Doktor und endlich wendete sich das Blatt. Dr. Rümmele war gerade von einem Kongress in Amerika zurückgekehrt, in dem sie das Thema Zöliakie behandelt hatten. Da das Kind eines Freundes die passenden Symptome zu dieser Krankheit hatte, hatte er diesen Kongress gewählt und war deshalb zu der damaligen Zeit State-of-the-Art über diese Krankheit informiert. Sofort wurde ich ins Krankenhaus eingeliefert und von allen Menschen abgesondert. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon so stark unterernährt, dass jede noch so banale Erkältung zu meinem Tod hätte führen können, so der Mediziner. Das Personal hatte nur mit Schutzkleidung Zutritt in mein Zimmer. Meine Familie konnte mich in den Wochen meines Aufenthalts nur durch eine Glasscheibe sehen. Es dauerte einige Zeit, bis sich mein entzündeter Darm wieder erholte und auch glutenfreie Nahrung keine Schmerzen mehr verursachte. Der Arzt freute sich über meine Fortschritte und erzählte meinen Eltern lachend, dass eine Krankenschwester für das Füttern von mir genauso lange brauchte, wie eine andere für alle anderen Kinder zusammen. Ich war sehr misstrauisch und skeptisch, wenn die Schwestern mit der Nahrung kamen und brauchte einiges an Überzeugung. Bei den Besuchen meiner Familie hielt er mich hinten an der Kleidung hoch, sodass meine Eltern sehen konnten, dass ich zugenommen hatte. Es war für meine Familie herzzerreißend zu sehen, wie ich meine Ärmchen nach ihnen ausstreckte, sie mich aber nicht in die Arme nehmen konnten.

Endlich war es soweit. Meine Eltern konnten mich aus dem Krankenhaus abholen, damit ich meinen ersten Geburtstag zu Hause verbringen konnte. Die Krankenschwestern rieten meiner Mutter die erste Zeit weiße Kleidung zu tragen, da aufgrund meines Alters davon auszugehen sei, dass ich meine Familie nach dem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt nicht mehr erkennen würde. Zur Erleichterung meiner Eltern war dies überhaupt nicht der Fall, sondern ich streckte meiner Mutter sofort meine Arme entgegen und kuschelte mich voller Freude an sie. Auch zu Hause begrüßte ich alle, inklusive des Hundes, voller Freude und meine Familie war sich sicher, dass ich mich sehr genau an alles erinnerte. Meine Mutter erklärte meinen Schwestern und Großeltern, worin Gluten enthalten war und dass ich auf keinen Fall etwas mit Mehl essen durfte. Wie schon im Krankenhaus, hatte sie viele Bananen gekauft, um immer etwas zur Hand zu haben, das ich essen darf. Auch meine Schwester gewöhnte sich daran, dass die letzte Banane in der Küche nicht aufgegessen werden durfte, sondern automatisch mir gehörte. Nicht, dass sie es nicht probiert hätte, diese unausgesprochene Regel zu missachten. Meine Familie versuchte zu Beginn den Sonntagskuchen heimlich zu essen, damit es mich nicht anmachen würde, aber mich interessierte das Gebäck eh nicht, da ich nicht einmal wusste, wie gut es schmeckt, aber, dass ich starke Bauchschmerzen davon bekommen würde. Liebevolle Versuche meiner Mutter mit Maismehl köstliche Kekse oder Brot für mich zu machen führten bei mir nicht zu der Begeisterung, die sie sich erhoffte. Aber meine Schwester aß es ganz gerne und somit konnte eine Verschwendung von Lebensmitteln verhindert werden. Bis zum 9. Lebensjahr lebte ich mit Maizena-Brei zum Frühstück und ich muss sagen, dass ich nach einiger Zeit echt gezwungen werden musste, ihn zu essen, obwohl meine Mutter eine tolle Köchin ist. Aber jahrelang immer das gleiche zum Frühstück hängt einem mit der Zeit einfach zum Hals heraus. Als ich 9 Jahre alt war, riet mein Kinderarzt Dr. Rümmele (ja, derjenige Doktor, der mir das Leben gerettet hat) meinen Eltern mir nun vorsichtig nach und nach Nahrung mit Gluten zu geben, denn damals waren die Ärzte der Ansicht, dass es sich bei Zöliakie um eine Art Kinderkrankheit handelt, die „sich mit der Zeit auswächst“. Ich war dem Ganzen gegenüber sehr skeptisch und traute mich immer nur sehr geringe Mengen Glutenhältiges zu mir zu nehmen. Ich brauchte allerdings bald keine Überredungskünste mehr für Sachen, die mir schmeckten, wie zum Beispiel Wiener Schnitzel oder Schwarzwälder Torte und meine Mutter erlaubte mir, anderes in sehr kleinen Mengen zu essen. Ich vertrug die Nahrung ziemlich gut und gewöhnte mich schnell daran fast normal zu sein. Ich war eben einfach immer schlank, egal wie viel ich aß (und das war eine ziemlich große Menge) und hatte halt immer wieder eine sogenannte „Magen-Darm-Grippe“. Ich blieb dabei wenig Glutenhältiges wie Brot oder Nudeln zu essen und lebte damit jahrelang ganz zufrieden.

Als meine Schwester mit ihrem ersten Kind schwanger war, erklärte ihr der Arzt, dass Zöliakie nicht nur ein Leben lang besteht, sondern auch dass es eine familiäre Belastung gibt. Ihr Kind hätte also eine 10prozentige größere Gefahr an Zöliakie zu erkranken, als andere Kinder, falls ich wirklich Zöliakie haben würde. Sofort drängte sie mich eine Abklärung zu machen, die ich natürlich gerne meinem kleinen Neffen zuliebe machte. Da ich aber sehr wenig Gluten zu mir nehme, war sich der Arzt, welcher nicht auf Zöliakie spezialisiert ist und die Darmspiegelung machte, nicht zu hundert Prozent sicher. Er wollte sich nicht offiziell festlegen. Als ich ihn aber fragte, was er machen würde, wenn es sein eigener Befund wäre, kam die klare Antwort: „Ich würde mich auf jeden Fall glutenfrei ernähren!“. Also beschäftigte ich mich mit glutenfreier Ernährung, trat dem österreichischen Zöliakie-Verein bei und bekam dort alle Informationen, die ich brauchte. Ich war erstaunt, wie fit ich mich fühlen konnte. Ich war vorher sehr zufrieden mit meinem Gesundheitszustand, aber dass es ein Leben ohne Kopfschmerzen und Durchfall geben konnte und ich mich so stark fühlte wie nie zuvor, hätte ich nicht gedacht. Leider hatte die glutenfreie Diät auch einen Nachteil. Ich war ja gewöhnt, riesige Essensportionen zu verdrücken, da meine Darmzotten geschädigt waren und so nur einen Bruchteil der Nahrung verwerten konnten und nun war alles wieder komplett gesund und mein Darm verwertete die komplette Nahrung. Wie ihr euch denken könnt, habe ich zugenommen. Ich muss aber sagen, dass ich diesen kleinen Nachteil sehr gerne in Kauf nehme, weil ich jetzt komplett gesund bin und genau wie jeder andere gesunde Mensch leben kann. Ich muss nur bei meiner Ernährung penibel darauf achten, auch nicht eine minimale Menge Gluten zu erwischen und das gelingt mir sehr gut. Ein einziges Mal ist mir ein „Glutenunfall“ passiert (ich habe die Nudeln meiner Familie mit meinen verwechselt) und ich habe mich so schlecht gefühlt, wie wenn ich Salmonellen oder etwas Ähnliches erwischt hätte. Dies ist mir schon vor vielen Jahren passiert und seitdem nicht mehr. Auch meine Verwandten und Freund/innen geben gut auf mich acht und ich bin kerngesund. Die letzten Jahre ist das Angebot an glutenfreien Lebensmitteln enorm gestiegen und es gibt nichts, auf das ich verzichten muss. Mein Leben ist einfach toll, auch wenn ich bei meinem Lieblingshobby, dem Reisen etwas besser vorbereitet sein muss, als andere.

Das Internet erleichtert das Leben mit Diät enorm. Betroffene geben sich in Foren Tipps und es wird geteilt, wenn es besondere Angebote gibt, in einem Restaurant oder Hotel glutenfreies Essen angeboten wird und ähnliches. Dies macht auch das Planen von Urlauben leichter, weil ich dann weiß, was ich alles von zu Hause mitnehmen muss. In manche Länder muss ich einen gut gefüllten Koffer mit Brot, Salzstangen und anderen Nahrungsmitteln mitbringen, da es dort kaum glutenfreie Lebensmittel gibt und in andere kann ich ohne jegliche Verpflegung einreisen. Außerdem begleitet mich immer eine Übersetzung mit der Erklärung was ich essen darf und welche Lebensmittel für mich tabu sind, um im Ferienziel mit dem Koch oder der Köchin besprechen zu können, was ich essen kann und was nicht. Der Austausch mit anderen Betroffenen erleichtert die Diät sehr. Witzigerweise erfuhr ich im Internet durch einen Touristen, dass es in der Stadt, in der ich schon 4 Jahre lebte, ein Café gibt, welches eine große Auswahl an köstlichen glutenfreien Kuchen und andere Schleckereien anbietet. Auf Facebook erfahre ich, welche Rezepte empfehlenswert sind und von welchen ich am besten die Finger lasse. Mit glutenfreiem Mehl zu backen hat so seine Tücken und es ist echt toll, dass es jetzt dafür extra Rezepte gibt. Ich kann mit Stolz behaupten, dass ich nun sogar leckere Brötchen mit dem richtigen Mehl selbst fabrizieren kann. Wie ihr also seht, ist das Leben mit Zöliakie ausser Haus manchmal ein bißchen kompliziert, aber trotzdem leicht machbar.